BMF plant mit dem Entwurf des Wachstumschancengesetzes die größte Unternehmenssteuerreform seit 2008
In einem überraschenden Schritt plant das Bundesministerium der Finanzen (BMF) eine bedeutende Unternehmenssteuerreform, die die Wirtschaft jährlich um mehr als 6 Milliarden Euro entlasten soll. Der am 12.07.2023 bekannt gewordene Entwurf des sogenannten „Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness“ oder auch Wachstums-Chancen-Gesetz (WCG) genannt, enthält eine Vielzahl von Maßnahmen, darunter die angekündigte Investitionsprämie, eine erweiterte Forschungszulage, Verbesserungen für Personengesellschaften und eine Erweiterung des Verlustabzugs. Lesen Sie mehr über die größte geplante Unternehmenssteuerreform des BMF seit 2008.
Welches Ziel verfolgt das Wachstumschancengesetz?
Der Gesetzesentwurf zielt darauf ab, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie, des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, der Dekarbonisierung und des demographischen Wandels zu bewältigen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) strebt mit rund 50 steuerpolitischen Maßnahmen eine jährliche Entlastung von etwa sechs Milliarden Euro an. Das Wachstums-Chancen-Gesetz (WCG) soll die Liquiditätssituation von Unternehmen verbessern und Anreize für Investitionen und Innovationen setzen.
Um den Herausforderungen der Transformation gerecht zu werden, ist es wichtig, auch kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) ausreichend Handlungsspielraum für neue Investitionen zu ermöglichen. Zudem sieht sich der Wirtschaftsstandort Deutschland mit verschiedenen Faktoren wie der hohen Inflationsrate konfrontiert, die einen hohen Wettbewerbsdruck erzeugen. Dazu zählen auch eine hohe Steuerlast, nicht wettbewerbsfähige Energiepreise sowie übermäßige Regulierungen auf europäischer und nationaler Ebene.
Welches Maßnahmenpaket sieht das BMF vor?
Im umfangreichen Paket, das vom Bundesfinanzministerium zusammengestellt wurde, sind vor allem folgende Maßnahmen enthalten, die größtenteils ab dem Jahr 2024 umgesetzt werden sollen:
Forschungszulage
Im Rahmen der steuerlichen Forschungsförderung sind mehrere Änderungen geplant:
Zum einen soll die maximale Bemessungsgrundlage von 4 Millionen Euro auf 12 Millionen Euro verdreifacht werden. Der Fördersatz der Forschungszulage beträgt dabei für alle Anspruchsberechtigten 25 % der Bemessungsgrundlage. Für kleine und mittlere Unternehmen im Sinne der KMU-Definition ist es ergänzend beabsichtigt, den Fördersatz um 10 Prozentpunkte auf 35 % anzuheben.
Ferner ist geplant, den effektiven Fördersatz für Auftragsforschung von 15 % auf 17,5 % anzuheben. Dadurch sollen Unternehmen eine stärkere finanzielle Unterstützung erhalten, um ihre Forschungsaktivitäten voranzutreiben.
Bislang wurden nur die Arbeitslöhne der Mitarbeiter, welche am Forschungs- und Entwicklungsvorhaben beteiligt sind und somit unter die Lohnsteuer fallen, gemäß dem Forschungszulagengesetz als förderfähige Aufwendungen gefördert. Einzelunternehmer konnten ihre Eigenleistung mit 40 Euro pro Stunde, maximal 40 Stunden pro Woche, sowie zu 60 % des Entgelts für Auftragsforschung geltend machen. In Zukunft soll der Betrag der Eigenleistung eines Einzelunternehmers auf 70 Euro je Arbeitsstunde angehoben werden.
Darüber hinaus sollen zukünftig zu den förderfähigen Aufwendungen nicht nur die Personalkosten des Forschungs- und Entwicklungsvorhabens, sondern auch – unter bestimmten Voraussetzungen – der Teil der Anschaffungs- und Herstellungskosten von abnutzbaren, beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens zählen, welche im Rahmen eines begünstigten FuE-Vorhabens verwendet wird.
Investitionsprämie für den Klimaschutz
Die geplante Prämie für Klimaschutzinvestitionen, die ursprünglich für die Jahre 2022 und 2023 vorgesehen war, soll nun für den Zeitraum von 2024 bis 2027 eingeführt werden. Diese Prämie soll Unternehmen belohnen, die in neue bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens investieren oder bestehende Wirtschaftsgüter verbessern, sofern sie zu nachträglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten führen und in einem Energiesparkonzept oder Energiemanagementsystem verankert sind. Die Prämie wird 15 Prozent der Investitionssumme betragen, jedoch maximal 30 Millionen Euro. „Sie soll liquiditätssteigernd ausgezahlt werden und kann damit auch in Verlustfällen wirken“, heißt es.
Entgegen der ursprünglichen Planung im Koalitionsvertrag, beschränkt sich die Prämie nun auf Investitionen, die die Energie- und Ressourceneffizienz eines Unternehmens verbessern. Dabei werden Projekte zur Digitalisierung nicht mehr inbegriffen. Eine mögliche Erweiterung der Investitionsprämie wird ebenfalls in Betracht gezogen. Die Auszahlung der Prämie soll innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids erfolgen.
Verbesserung des steuerlichen Verlustabzugs
Finanzminister Lindner plant, die während der Coronakrise eingeführten großzügigeren Regeln zur Verlustverrechnung langfristig beizubehalten. Ursprünglich als temporäre Maßnahme gedacht, sollen die Regelungen nun dauerhaft gelten. Dadurch sollen Unternehmen auch in Zukunft von verbesserten finanziellen Möglichkeiten profitieren können. Unternehmen sollen die Möglichkeit haben, aktuelle Verluste nicht nur mit Gewinnen aus dem Vorjahr, sondern auch bis zu drei Jahre zurück zu verrechnen. Die geplante Verlustverrechnung wird auf zehn Millionen Euro begrenzt, während es bei Zusammenveranlagung 20 Millionen Euro sind. Ursprünglich lag die Grenze bei zwei Millionen Euro. Dadurch sollen Unternehmen finanziell entlastet und in der Lage sein, die wirtschaftlichen Folgen der Krise besser zu bewältigen.
Verlustvortrag (§ 10d Abs. 2 EStG)
Auch die Verrechnung von Verlusten mit zukünftigen Gewinnen soll erleichtert werden. Für den Zeitraum von 2024 bis 2027 sollen dabei sämtliche Beschränkungen beim Verlustvortrag aufgehoben werden. Ab dem Jahr 2028 sollen wieder die Höchstgrenzen von zehn beziehungsweise 20 Millionen Euro gelten.
Zinsschranke und Zinshöhenschranke (§ 4l EStG-E)
Der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet eine umfangreiche Reform der Zinsschranke gemäß § 4h EStG und zielt darauf ab, die Norm an die Vorgaben der ATAD-Richtlinie anzupassen. In diesem Zusammenhang sollen unter anderem die Konzernklausel gemäß § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. b EStG sowie die Escape-Klausel für Eigenkapital gemäß § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. c EStG gestrichen werden. Zusätzlich ist geplant, die aktuelle Freigrenze von 3 Millionen Euro in einen Freibetrag umzuwandeln.
Der Entwurf eines neuen § 4l EStG-E sieht die Einführung einer Zinshöhenschranke vor, die die Abzugsbeschränkung für Zinsaufwendungen bei Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen gemäß § 1 Abs. 2 AStG gesetzlich festlegt. Gemäß dieser Regelung sollen Zinsaufwendungen nicht abziehbar sein, wenn der vereinbarte Zinssatz den gesetzlich festgelegten Höchstzinssatz übersteigt. Diese Abzugsbeschränkung wird durch eine spezielle Gegenbeweismöglichkeit und eine Substanzausnahme ergänzt. Mit der Einführung des § 4l EStG-E sollen Gestaltungen, bei denen substanzlose Gesellschaften zwischengeschaltet werden, vermieden werden, wie es in der Gesetzesbegründung erläutert wird.
Thesaurierungsbegünstigung des § 34a EStG
Das BMF plant ab 2025 eine Reform der Thesaurierungsbegünstigung gemäß § 34a EStG. Die Reform sieht eine verbesserte Verwendungsreihenfolge vor, steuerfreie und tarifbesteuerte Gewinne, die nach dem 31.12.2023 im Unternehmen belassen wurden, sollen vorrangig entnommen werden können. Zudem soll das Thesaurierungsvolumen erhöht werden. Es ist vorgesehen, dass der nicht entnommene Gewinn (= begünstigungsfähiger Gewinn) um die gezahlte Gewerbesteuer und die Beträge, die zur Zahlung der ESt nach § 34a Abs. 1 EStG entnommen werden, erhöht wird. Zudem soll die Thesaurierungsbegünstigung des § 34a EStG bereits im Vorauszahlungsverfahren berücksichtigt werden können.
Abbau bürokratischer Hürden
Lindner plant, neben umfangreicheren steuerlichen Entlastungen, auch verschiedene bürokratische Barrieren abzubauen. Dies beinhaltet die Vereinfachung von Meldeverfahren und Buchführungspflichten sowie die Umstellung auf elektronische Datenübermittlung anstelle von papierbasierten Prozessen.
Darüber hinaus sieht der Gesetzesentwurf beispielsweise weitere Maßnahmen vor:
- Mehr Liquidität bei kleinen und mittleren Unternehmen durch Verbesserungen bei den Sofortabschreibungen geringwertiger Wirtschaftsgüter, den Abschreibungsmöglichkeiten zu den Sammelposten und zur Sonderabschreibung nach § 7g EStG.
- Anhebung der GWG-Grenze (§ 6 Abs. 2 EStG) auf 1.000 Euro.
- Anhebung der Grenze für die Buchführungspflicht bestimmter Steuerpflichtiger (§ 141 AO) und der Grenze für die umsatzsteuerliche Ist-Besteuerung (Möglichkeit der Berechnung der Steuer nach vereinnahmten statt vereinbarten Entgelten) nach § 20 Satz 1 Nummer 1 UStG.
- Digitalisierung des Spendenverfahrens – Einführung eines Spendenregister.
- Einführung einer Freigrenze für Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung.
- Erhöhung des Schwellenwertes zur Befreiung von der Abgabe von vierteljährlichen Umsatzsteuer-Voranmeldungen von 1 000 Euro auf 2 000 Euro.
- Die Pflicht zur Mitteilung von grenzüberschreitenden Steuergestaltungen wird auf innerstaatliche Steuergestaltungen ausgeweitet.
- Einführung einer gesetzlichen Regelung zur verpflichtenden Verwendung von elektronischen Rechnungen zwischen inländischen Unternehmen.
- Anpassung der Besteuerung von Renten aus der Basisversorgung.
- Anpassung der AO und anderer Steuergesetze an das Personengesellschaftsrechts-modernisierungsgesetz (MoPeG) vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436).
- Aufhebung der Besteuerung der Soforthilfe Dezember (Erdgas-Wärme-Soforthilfegesetz – EWSG).
Quelle: Bundesminsterium der Finanzen (BMF) 2023
Das Wachstums-Chancen-Gesetz: Aktueller Stand und nächste Schritte
Bereits im November 2021 wurden im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung verschiedene Aspekte des Wachstumschancengesetzes, wie zum Beispiel die Investitionsprämie, angekündigt. Es ist jedoch noch ungewiss, ob der vorliegende Entwurf in seiner aktuellen Form von der Bundesregierung abgestimmt wird oder ob Änderungen zu erwarten sind.
Das BMF plant jedoch für Mitte August 2023 eine Kabinettsbefassung über einen Regierungsentwurf und beabsichtigt, das Gesetzgebungsverfahren bis Ende 2023 abzuschließen. Die geplante Unternehmenssteuerreform des BMF könnte eine der umfangreichsten seit 2008 sein und hätte erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft und Unternehmen in Deutschland. Wenn alles optimal verläuft, könnte das Gesetz Anfang 2024 in Kraft treten.
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